Michaël Aerts: Planetarium

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Ausstellungsansicht, © Michaël Aerts, Courtesy Galerie Clara Maria Sels, Düsseldorf

Firmament der hellen Köpfe – Michaël Aerts: Planetarium, Galerie Clara Maria Sels

Ei­gent­lich bö­ten sich an­läss­lich ei­nes pan­de­mie­be­ding­ten Shut­downs und ei­ner für vie­le un­um­gäng­li­chen Ver­rin­ge­rung be­ruf­li­cher Ak­ti­vi­tä­ten un­ge­ahn­te Frei­hei­ten, sich die Zeit mit aus­u­fern­dem Kul­tur­ge­nuss zu ver­trei­ben, wo­bei das Be­su­chen von Aus­stel­lun­gen, an­ders als das na­tur­ge­mäß in den ei­ge­nen vier Wän­den mög­li­che Bü­cher­le­sen, Fil­me­gucken und Mu­sik­hö­ren, be­dau­er­li­cher­wei­se au­ßen vor bleibt. Die Tat­sa­che, dass sich we­der die Be­trach­tung von Kunst­wer­ken in Ga­le­rien und Mu­seen noch pri­va­te Ur­laubs­rei­sen mit den der­zeit ge­bo­te­nen Ver­hal­tens­wei­sen über­ein brin­gen las­sen, hat auch durch mei­ne Plä­ne ei­nen Strich ge­macht. Zum Ei­nen hat es sich mit der Kunst­ver­mitt­lung vor Ori­gi­na­len fürs Er­ste er­le­digt. Zum An­de­ren ist auch ein für Mit­te März vor­ge­se­he­ner, mehr­tä­gi­ger Au­fent­halt in Flo­renz ins Was­ser ge­fal­len. Als klei­ne Kom­pen­sa­tion für al­le, de­nen ei­ne Be­sich­ti­gung der Uffi­zien in­fol­ge des der­zei­ti­gen Aus­nah­me­zu­stands ver­wehrt ge­blie­ben ist, bie­tet sich die Op­tion, sich die dor­ti­gen Ex­po­na­te im Zu­ge ei­nes vir­tu­el­len Rund­gangs an­zu­schau­en.

Planet, 2019-2020, Erde, Fiberglas und Lack, 29 x 24 x 25,5 cm, © Michaël Aerts, Courtesy Galerie Clara Maria Sels, Düsseldorf

Die be­son­de­re Be­deu­tung, wel­che dem Flo­ren­ti­ner Quat­tro­cen­to un­ter kul­tur­ge­schicht­li­chen Ge­sichts­punk­ten bei­ge­mes­sen wird, macht sich nicht nur an den hier zu be­stau­nen­den Plas­ti­ken und Ge­mäl­den, son­dern eben­so an epo­cha­len geis­tes­ge­schicht­li­chen Um­brü­chen fest, über die sich wie­de­rum die Rah­men­vo­raus­set­zungen ei­ner über­bor­den­den Kunst­pro­duk­tion kons­ti­tu­iert ha­ben. Epo­chal meint in die­sem Zu­sam­men­hang nicht we­ni­ger als den An­bruch der Neu­zeit, wel­cher mit ei­ner grund­sätz­li­chen Ab­kehr von der mit­tel­al­ter­li­chen Scho­las­tik und ei­ner Neu­er­fin­dung welt­an­schau­li­cher Kon­zep­tio­nen der rö­mi­schen und grie­chi­schen An­ti­ke ein­her­ging. Ge­ne­rell lie­ßen sich die­se Er­eig­ni­sse nach Art ei­nes neu ent­stan­de­nen, ganz­heit­li­chen Dis­kur­ses skiz­zie­ren, der durch ein In­ei­nan­der­grei­fen mo­ral­phi­lo­so­phi­scher und me­ta­phy­si­scher Ten­den­zen be­stimmt wur­de. Die­se men­ta­li­täts­ge­schicht­li­chen Fak­to­ren be­in­hal­te­ten zum Ei­nen den Grund­satz, den Men­schen selbst in den Mit­tel­punkt mensch­li­chen Den­kens zu rücken und zum An­de­ren den Ver­such, ein auf ei­nem ein­heit­li­chem Prin­zip ba­sie­ren­des Welt­ver­ständ­nis her­bei­zu­füh­ren.

Ausstellungsansicht, © Michaël Aerts, Courtesy Galerie Clara Maria Sels, Düsseldorf

Als Aus­gangs­punkt die­ser Be­we­gung fun­gier­te die dem Hof der Me­di­ci na­he­ste­hen­de Schu­le von Flo­renz, ein In­tel­lek­tu­el­len­kreis um Uni­ver­sal­ge­lehr­te wie Mar­si­lio Fi­ci­no und Gio­van­ni Pico, die als ent­schei­den­de Ini­tia­to­ren des Re­nais­sance-Hu­ma­nis­mus gel­ten. Wei­ter­hin las­sen sich in ih­ren Schrif­ten trans­zen­den­tal­phi­lo­so­phi­sche An­sät­ze fin­den, die im Zu­ge der da­rauf­fol­gen­den Jahr­hun­der­te wei­ter­ent­wickelt und im Zeit­al­ter der Auf­klä­rung zur vor­läu­fi­gen Voll­en­dung ge­führt werden soll­ten.1 Ei­ne Kul­ti­vie­rung die­ser epo­chen- und re­gio­nen­ü­ber­grei­fen­den Denk­tra­di­tion fin­det sich un­ter an­de­rem bei Ja­kob Böh­me, Ba­ruch de Spi­no­za und Ver­tre­tern des deut­schen Ide­a­lis­mus wie Imma­nuel Kant und Ar­thur Scho­pen­hau­er. So zeigt sich ei­ne ge­mein­sa­me Schnitt­men­ge in­ner­halb der me­ta­phy­si­schen Kon­zep­tio­nen der hier auf­ge­zähl­ten Phi­lo­so­phen da­rin, dass die Welt nicht in von­ei­nan­der ge­trenn­te Sphä­ren un­ter­teilt, son­dern hin­sicht­lich ih­rer ir­di­schen und über­ir­di­schen Be­stand­tei­le als kon­sis­tent­es Gan­zes ver­stan­den wird. Schlüs­sig zu­sam­men­ge­fasst fin­det sich ein da­hin ge­hen­der Grund­ge­dan­ke in Kants be­rühm­ter Sen­tenz „Zwei Din­ge er­fül­len das Ge­müt mit im­mer neu­er und zu­neh­men­der Be­wun­de­rung und Ehr­furcht, je ö­fter und an­hal­ten­der sich das Nach­den­ken da­mit be­schäf­tigt: Der be­stirn­te Him­mel ü­ber mir und das mo­ra­li­sche Ge­setz in mir (…) Ich se­he sie bei­de vor mir und ver­knüp­fe sie un­mit­tel­bar mit dem Be­wusst­sein mei­ner Exis­tenz.“2

Ausstellungsansicht, © Michaël Aerts, Courtesy Galerie Clara Maria Sels, Düsseldorf

Auch wenn zur Zeit ei­ni­ges da­für spricht, dass es sich dies­be­züg­lich um ei­nen fa­ta­len Trug­schluss han­deln könn­te, schei­nen der­lei hu­ma­nis­ti­sche und auf­klä­re­ri­sche Er­run­gen­schaf­ten in ei­nem Ma­ße als selbst­ver­ständ­lich an­ge­se­hen zu wer­den, dass ih­nen we­der im geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen noch im bild­ne­risch künst­le­ri­schen Kon­text ein zen­tra­ler Stel­len­wert ein­ge­räumt wird. Vor die­sem Hin­ter­grund mu­ten auch die Wer­ke ei­nes Küns­tlers als be­mer­kens­wert an, wel­che hin­ter den der­zeit lei­der ver­schlos­se­nen Tü­ren der Ga­le­rie Cla­ra Ma­ria Sels auf Be­su­che­rin­nen und Be­su­cher war­ten. Es han­delt sich da­bei um Plas­ti­ken und Col­la­gen des in Gent an­säs­si­gen Bel­giers Mi­chaël Aerts, der sich ei­ner de­zi­diert kul­tur­ge­schicht­li­chen Prog­ram­ma­tik ver­schrie­ben hat und his­to­ri­sche Ar­te­fak­te zum Aus­gangs­ma­te­rial sei­ner Ar­beit macht. Als sol­ches ver­wen­det er ak­tu­ell ü­ber­wie­gend Ab­güs­se früh- und mit­tel­neu­zeit­li­cher Ge­lehr­ten­büs­ten, wel­che im Zu­ge des wei­te­ren Werk­pro­zes­ses zer­sägt und neu zu­sam­men­ge­setzt wer­den. Ein ers­tes Über­ra­schungs­mo­ment er­gibt sich bei der Be­trach­tung der da­raus her­vor­ge­gan­ge­nen Ar­bei­ten in­fol­ge des­sen, dass Sel­bi­ge größ­ten­teils nicht auf Sockeln oder auf dem Bo­den ste­hend, son­dern mit­tels kaum sicht­ba­rer Fä­den frei im Raum schwe­bend prä­sen­tiert wer­den. Wei­ter­hin zeigt sich ein in­te­res­san­ter Ver­frem­dungs­ef­fekt in der Art und Wei­se, wie die hier ver­wen­de­ten bild­hau­e­ri­schen Frag­men­te an­ei­nan­der ge­fügt wur­den. Dar­stel­lun­gen von Haa­ren oder von phy­sio­gno­mi­schen De­tails wer­den da­bei so kom­bi­niert, dass sich we­ni­ger an Köp­fe als an Ge­hir­ne o­der an nicht nä­her be­stimm­ba­re amorph-orga­ni­sche Ge­stal­ten erin­nern­de Ge­bil­de er­ge­ben. An­ge­sichts die­ser ge­stal­te­ri­schen Fak­to­ren er­scheint es na­he­lie­gend, die wie nach Art von Him­mels­kör­pern an­ge­ord­ne­ten Ob­jek­te als sicht­ba­ren Aus­druck der ein­gangs er­läu­ter­ten Ideen zu deu­ten.

Space and Place, 28 x 28 cm, Collage auf Himmelskarte von 1721, © Michaël Aerts, Courtesy Galerie Clara Maria Sels, Düsseldorf

Ne­ben der hier ver­an­schau­lich­ten In­eins­set­zung spi­ri­tu­el­ler und kos­mo­lo­gi­scher Ge­ge­ben­hei­ten zeich­net sich das vom Küns­tler zu­sam­men­ge­stell­te Prog­ramm durch ei­ne rei­che Band­brei­te teils un­kon­ven­tio­nel­ler Ma­te­ria­lien aus, wel­che ih­rer­seits spe­zi­fi­sche kul­tur­his­to­ri­sche Im­pli­ka­tio­nen auf­wei­sen. Mit­un­ter las­sen sich in die­sem Zu­sam­men­hang auch Ana­lo­gien zu dem hier be­han­del­ten Mo­tiv des mensch­li­chen Denk­ap­pa­rats her­stel­len: Wachs wird seit der An­ti­ke in Form von Schrift­ta­feln als text­li­ches Me­di­um ver­wen­det, wo­hin­ge­gen Er­de seit An­be­ginn der Ur­zeit als plas­ti­scher Werk­stoff dient, so dass man in par­ti­ku­lä­rer Hin­sicht von Spei­chern kul­tu­rel­ler In­for­ma­tio­nen spre­chen kann. Dies gilt na­tür­lich auch für Pa­pier, den Bild­trä­ger zwei­er wei­te­rer Wer­ke, die ei­ne vom Küns­tler über­mal­te Him­mels­kar­te des 18. Jahr­hun­derts er­ken­nen las­sen. Das Mo­tiv ei­ner schach­brett­ar­ti­gen, in den Raum ge­kipp­ten Ma­trix sug­ge­riert an die­ser Stel­le ei­ne Vor­stel­lung da­von, dass das Selbst­ver­ständ­nis des Men­schen mit sei­ner Selbst­ver­or­tung in­ner­halb ei­ner un­end­li­chen Frem­de zu­sam­men­hängt. Dass es sich da­bei nicht nur um ei­nen na­tur­wis­sen­schaft­li­chen, son­dern im­mer auch um ei­nen ima­gi­na­ti­ven und schöp­fe­ri­schen Vor­gang han­delt, ist eine Ein­sicht die sich nicht zu­letzt auf­grund der for­ma­len und kon­zep­tu­el­len Schlüs­sig­keit des hier Ge­zeig­ten er­schließt. Mit­hin er­scheint Mi­chaël Aerts’ küns­tle­ri­scher An­satz glei­cher­ma­ßen ana­chro­nis­tisch wie prog­res­siv. Ob die Aus­stel­lung in ab­seh­ba­rer Zeit zu be­sich­ti­gen sein wird, hängt von der Aus­brei­tung ei­nes Vi­rus und den da­mit ein­her­ge­hen­den Ent­schei­dun­gen po­li­tisch Ver­ant­wort­li­cher ab. Bis da­hin lie­ße sich die all­ge­mein ein­ge­kehr­te Ru­he nut­zen, um sich mit ela­bo­rier­ten Aus­füh­run­gen über den Ur­grund al­len Seins zu be­fas­sen, was sich ja oh­ne­hin vor­treff­lich mit so­zial­kon­takt­lo­ser So­fa­sit­ze­rei ver­bin­den lässt.

Michaël Aerts:
Planetarium

Galerie Clara Maria Sels
Poststr. 3
40213 Düsseldorf

Öffnungszeiten:

Dienstag bis Freitag 14h-18:30h
Samstag 12h-15h

Zur Zeit wegen Corona-Pandemie geschlossen. Die Ausstellung wird voraussichtlich bis Mitte oder Ende Mai verlängert.

Fußnoten

  1. Vgl. Liebert, Arthur: Monismus und Renaissance, in: Drews, Arthur (Hrsg.): Der Monismus dargestellt in Beiträgen seiner Stellvertreter, Jena 1908, Bd. 2, S. 1-32.
  2. Kant, Immanuel / Brandt, Horst D. (Hrsg.) / Klemme, Heiner F. (Hrsg.): Kritik der praktischen Vernunft, Hamburg 2013, S. 213.

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