Lars Teichmann: Poncelle, 2017, Acrylfarbe auf Leinwand, 200x280cm, großformatiges Gemälde mit einer Porträtdarstellung einer jungen dunkelhaarigen Frau

Lars Teichmann: The presence of the souls of strangers and forgotten ones

Kommentare 0
Allgemein
Ein an einer weißen Wand hängendes großformatiges Gemälde mit einer Porträtdarstellung einer jungen, dunkelhaarigen Frau, die den Betrachter ernst anschaut.
Poncelle I, 2017, acrylic on canvas, 200x280cm ©Lars Teichmann, Courtesy Galerie Clara Maria Sels, Foto: Joanna Kischka

Die Rache des Riesengesichts – Lars Teichmann: The presence of the souls of strangers and forgotten ones, Galerie Cla­ra Maria Sels

Der vor kur­zem er­neut aus­ge­strahl­te Quen­tin-Ta­ran­tino-Film „Ing­lourious Bas­terds“ ist ein be­lieb­ter Ge­gen­stand medien­wissen­schaf­tlicher Ana­lyse.1 Ein in diesem Kontext be­son­ders her­vor­ge­ho­be­ner Fak­tor be­steht in der Schlüs­sel­se­quenz, die einer fik­tiven Ab­än­derung his­torischer Er­eignisse entspre­chend die Mas­sakrie­rung der gesamten Nazi-Füh­rung im Rahmen einer Kino­vorstellung zeigt. Ange­kündigt wird dieses Ereignis durch einen Mono­log der jüdischen Kino­besitzerin Shosanna Dreyfus (Mélanie Laurent), deren Familie in der voran­gegangenen Hand­lung von dem SS-Offizier Hans Landa (Christoph Waltz) ermordet wurde. Diese Ansprache geschieht in Form eines Films im Film, welcher in Folge einer unver­mittelten Unter­brechung des bis dahin ge­zeig­ten Propa­ganda­werks auf die Lein­wand proji­ziert und in dem das bevor­stehende Attentat auf das Pub­likum als Vergeltung­sakt heraus­gestellt wird.

Shosanna Dreyfus – „The face of jewish vengeance“

Neben der frag­würdigen Umschreibung der Geschichte, die kontro­vers dis­kutiert und von einigen Seiten als mora­lisch unver­tretbar kriti­siert wurde, richtet sich das rezep­tive Inter­es­se haupt­säch­lich auf die Faktoren der Dekons­truktion, der Selbst­referentialität und der eklek­tizis­tischen Genre­ver­mi­schung. Der Regisseur inszeniert eine Erzählung über den Holo­caust und den Zweiten Welt­krieg als Rache­epos nach Art des Italo­westerns und macht daraus eine mit unzäh­ligen Zitaten versehene cine­astische Binnen­betrachtung, an deren Ende der Blick durch die inei­nander ver­schränk­ten Kino-Dispositive gleich­sam zur Meta­pher für die Invol­vierung in den hier auf­gewor­fenen Dis­kurs wird.

Eine anal­oge, in den Galerie­raum verlagerte Situation manifes­tiert sich in der Betrach­tung von Lars Teichmanns riesen­forma­tigen Porträts – Repro­duk­tionen von Re­pro­duk­tio­nen mehr­heit­lich auf die frühe Neu­zeit da­tie­render Personen­bildnisse, die als Signets ihrer Epochen Einzug ins kul­tu­relle Gedächtnis erhalten haben. Der 1980 im säch­sischen Burg­städt geborene und 2006 an der Berliner UDK als Meister­schüler von Valérie Favre gradu­ierte Maler gibt an, die Originale selbst in vielen Fällen nicht gese­hen zu haben.2

Nachdem ihn seine früh ausgeprägte und mit kunst­his­torischer In­te­res­siert­heit ein­her­ge­hen­de bild­ne­rische Neigung zunächst in den Bereich der Graffiti-Kunst geführt hatte, erwies sich das aka­de­mische Milieu nach eigener Aussage als un­ge­eignet, um die bereits gefes­tigten Ansätze weiter zu kul­ti­vieren.3 Einen geeig­neteren Rahmen fand er schließ­lich in einer ver­las­senen Fabrik­halle, die den Raum für ein ebenso unge­störtes wie unbän­diges Aus­agieren der eigenen Ideen bot. Hier wurden die alten, teil­weise noch aus DDR-Zeiten stammenden Kata­loge wieder hervor­ge­holt und als Vor­lagen­material für Neuer­findungen klassischer Historien- und Porträt­motive verwen­det.

So verbanden sich Tech­nik und Gestus des Sprayers mit ba­rocker und klas­sizis­tischer Ikono­graphie.

Hinzu kam, als dritter maß­geblicher Ein­fluss, eine abstrakt-expres­sionis­tische Formen­sprache, die sich im lockeren Zu­sam­men­hang mit küns­tleri­schen Vor­bildern wie Robert Mother­well oder Willem de Koo­ning ergab.

Dreiviertelporträt einer jungen Dame in einem schwarzen Kleid. Die junge Frau trägt einen Fächer und Blume im Haar. Sie steht vor einer Wand mit einer gemusterten roten Samttapete.
Jean-Auguste-Dominique Ingres: Madame Moitessier, 1851, oil on canvas, 147x100cm, Courtesy National Gallery of Art, Washington

Lars Teich­manns aus­schnitt­hafte Wieder­gabe einer auf Domi­nique Ingres zurück­gehenden Dar­stel­lung der Salon­dame Inès Moites­sier erweckt nicht zuletzt aufgrund ihrer Propor­tionen den Ein­druck eines fil­mischen Close-ups. Die illusionis­tische Hap­tik des In­kar­nats wird zu einem syn­thetischen Gefüge ta­chistischer Farb­auf­träge, die his­torische Tradiert­heit und Offen­legung des Werk­prozesses zu Fix­punkten ma­le­rischer Selbst­bezüglichkeit.

Es begegnen einem wei­tere Per­sonen der Zeit­ge­schichte wie Philipp IV. von Spanien, dessen mar­kante Phy­sio­gno­mie in zahl­reichen Werken des spa­ni­schen Hof­malers Diego Velas­quez fest­ge­halten wurde. Hin­sich­tlich des Aus­stellungs­titels ergibt sich die Überlegung, welchem Zweck die hier for­mu­lierte Ver­ge­gen­wärtigung der See­len gerecht wird. Dabei stellt sich die Frage, was in Folge der wieder­holten Übert­ragung verloren ge­gan­gen ist und was neu hinzu­gewonnen wurde.

Innenansicht eines Galerieraums. Es sind zwei über Eck gehängte große Gemälde mit Porträtdarstellungen zu sehen.
Ausstellungsansicht, ©Lars Teichmann, Courtesy Galerie Clara Maria Sels, Foto: Joanna Kischka

Die vom Küns­tler vorge­nommene Reduk­tion auf das Ge­sicht lässt At­tribu­te und Insig­nien ver­schwin­den und ent­hebt die Per­son ihres sozial­hierar­chischen und ge­schich­tlichen Kontextes.

Eine mit Status­merkmalen ver­knüpfte Iden­ti­fi­zier­bar­keit verschlech­tert sich zugunsten einer unmittel­bareren emotionalen und psy­cho­logischen Wahrnehmbarkeit. So wie der Gedanke an einen nicht mehr existierenden Menschen sich weniger an dessen objektiver Bedeutsamkeit als an subjektiven Emp­fin­dungen seiner seelischen Eigenschaften festmacht und so wie diese Emp­fin­dungen verblassen und sich verzerren, wird hier eine Anmutung erzeugt, die eine innere Qualität des Erinnerns spürbar macht und die sich wie ein Filter vor das offizielle Bild zu schieben scheint.

In einer Pu­bli­ka­tion wird der hier voll­zogene An­satz mit dem Be­griff der Haun­tology in Ver­bindung gebracht, der eine gleich­sam geister­hafte Heim­suchung durch äs­thetisch-ideo­logische Ein­flüs­se vergangener Zeiten infolge einer Erschöpfung kultureller Ideenvorräte bezeichnet.4 Dieser Verweis erscheint gerade ange­sichts der wiedergängerartigen Anmutung der gezeigten Gestalten naheliegend. Zugleich lässt sich die vorliegende Konzeption analog zu einer aktuell stattfindenden Debatte deuten, in der die Notwendigkeit einer konsistenten und strukturierten Rezep­tionsgrundlage mit einer Rückkehr zu einer stringenten kunst­his­torischen Ausrichtung assoziiert wird.5 Es beruht auf einer arbi­trären Entscheidung, ob eine dahingehende Hervorbringung mit dem zeitgeistigen Etikett der Hauntology oder den eher zeitlosen Kategorien des Eklektizismus’ oder des Genresynkretismus’ verse­hen wird. Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass eine entspre­chende Setzung nur in dem Maße ein positives Qualitätsmerkmal darstellen kann, wie sie nicht zum reinen Selbstzweck verkommt.

Die Frage, inwie­weit sich das zusammen­gefügte Reper­toire in Lars Teich­manns Werken zu mehr als einer Summe einzel­ner Teile ad­diert, lässt sich zum An­lass einer we­niger ana­lytisch moti­vier­ten Betrach­tung nehmen. Dass die Bilder auch auf diese Weise funktio­nieren liegt daran, dass die konzep­tuellen Gesichts­punkte nicht als trockene Indi­katoren einer küns­tlerischen Bewandt­nis in den Vorder­grund ge­stellt, son­dern in ein äs­thetisch anspre­chendes Ganzes gefasst werden.

Ab­schließend ließen sich die eingangs herge­stellten Bezüge weiter ergänzen: So wie Quen­tin Taran­tino seine film­ischen Grund­ideen im Zuge seiner Tätig­keit als Video­theken-Mitarbeiter ent­wickelt hat, ist Lars Teich­manns malerische Program­matik aus einer künst­lerisch-mono­manen Selbst­findung hervor­gegangen. Ent­standen sind in beiden Fällen ori­ginäre Posi­tionen, die sich gleicher­maßen mit wie ohne dezi­diertes Hinter­grundwissen sehen und ver­stehen lassen.

Lars Teichmann
The presence of the souls of strangers and forgotten ones

9. September – 4. November 2017

Galerie Clara Maria Sels
Poststr. 3
40213 Düsseldorf

Öffnungszeiten:

Dienstag bis Freitag 14h-18:30h
Samstag 12h-15h

Lernen Sie mit uns die Düsseldorfer Galerienszene kennen! Artesarticulo ist ein Verbund langjährig erfahrener Kunstvermittler/innen, die sich die Erkundung der aktuellen Ausstellungen im Zuge individueller Rundgänge zur Aufgabe macht. Diese werden in Kooperation mit der Düsseldorf Tourismus GmbH auch in Form öffentlicher Führungen angeboten.

Fußnoten

  1. Vgl. Kaul, Susanne / Palmer, Jean-Pierre: Quentin Tarantino, Paderborn, 2016, S. 121-132.
    Vgl. Robnik, Drehli: Intim, im Team, in time mit Deleuze: Vom Affektbegriff, Richtung Politik gewendet, zu Copollas Komplotten und Patton, Mindgame Movies und Inglourious Basterds, in: Sanders, Olaf / Winter Rainer (Hrsg.): Bewegungsbilder nach Deleuze, 2015, Köln, S. 54-85.
    Vgl. Walters, Ben: Debating Inglourious Basterds, in: Film Quaterly, Vol. 63, No. 2 (Winter 2009), S. 19-22.
  2. Vgl. Feldhaus, Timo / Teichmann, Lars: Die Gegenwart kommt mir zu nah vor, in: Teichmann, Lars und Deiss, Amely (Hrsg.): Aura, Erlangen, 2016, S. 102-109.
  3. Vgl. Ebd.
  4. Vgl. Ebd.
    Vgl. Fisher, Mark: What is Hauntology, in: Film Quaterly, Vol. 66, No. 1 (Fall 2012), S. 16-24.
  5. Vgl. Demand, Christian: Die Beschämung der Philister, Hannover, 2007.

Schreibe einen Kommentar